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Lust auf Ehrlichkeit?

Von 1. Februar 2021 September 30th, 2021 Keine Kommentare

Wer ist der beste Bodybuilder?

Wir sind im „Lockdown“, im „Homeoffice“ , und, wenn wir Bodybuilder sind, im Homegym. Zeit zum Nachdenken scheint es in Hülle und Fülle zu geben, wenn man nicht gerade in der Pflege arbeitet oder aber den eigenen Nachwuchs pflegt. Internetaktivisten scheinen auch mehr Zeit als in virenfreien Zeiten zu haben. Warum sonst sollten Debatten darüber, wer „der beste Bodybuilder aller Zeiten“ sei, gerade jetzt solche Hochkonjunktur haben?

Sieht man die Sache streng wissenschaftlich, ist die ganze Debatte sowieso von Anfang an zur Sinn- und Ergebnislosigkeit verdammt, denn wer der oder die „Beste“ ist, ist eine Frage der Bewertung, und bei Bewertungen, so der Wissenschaftsphilosoph Prof. Karl Popper, gibt es keine Wahrheit. Bewertungen fußen auf Maßstäben oder Grundsätzen, und die bedürfen der Festlegung. So weit, so gut.

Irgendwann um das Ende des 19. Jahrhunderts kam ein junger Mann mit abgebrochenem Medizinstudium auf die Idee, „Körperschönheitskonkurrenzen“ für Männer zu veranstalten. Offenbar hatte er damit eine Marktlücke entdeckt – in die Londoner Royal Albert Hall kamen im Jahr 1901 fünfzehntausend (!) Zuschauer, um so eine Konkurrenz mit eigenen Augen zu sehen. Eugen Sandow – so hieß der junge Mann – wurde steinreich und weltberühmt. Selbst Werner Seelenbinder, die Ikone des kommunistischen Arbeitersports, beteiligte sich in den 1920er Jahren in den Berliner Schinkels-Festsälen an mindestens einer solchen Körperschönheitskonkurrenz – und schuf damit das Alibi für die späteren DDR-„Körperkulturisten“, unter genau dieser Bezeichnung das zu tun, was man im deutschen Westen kapitalistisch-anglophil „Bodybuilding“ nannte. „Bodybuilding or Man in the Making“ hatte auch Eugen Sandow eines seiner Bücher betitelt.

In Deutschland jedoch bezeichnete man die Wettkämpfe, die er organisierte, als „Körperschönheitskonkurrenzen“ – ganz offenbar gab es also eine Zeit, in der Bodybuilder als „schöne Männer“ galten! Auf die Idee komme ich beim Anblick heutiger Bodybuilding-Stars kaum noch. „Schönheit“ gilt im modernen Bodybuilding als „nicht objektivierbar“ und folglich als nachrangig, unwesentlich – zumindest aus „konventioneller“ Perspektive . Bodybuilding sei eine Sportart und keine Schönheitskonkurrenz, heißt es dann oft.

Nun hat aber jede Sportart ihre Regeln. Eine davon ist die Einhaltung der Anti-Doping-Bestimmungen. Auf der Dopingliste tauchen Substanzen oder Methoden auf, wenn sie nicht nur die Leistung steigern, sondern gleichzeitig auch die Gesundheit schädigen oder einen „Verstoß gegen den Geist des Sports“ darstellen. Der Grundgedanke dieser Bestimmungen war immer, die Athletinnen und Athleten „vor sich selbst zu schützen“, sie davor zu bewahren, dass sie in eine Spirale des pharmakologischen Wettrüstens geraten, bei der ihre Gesundheit letztlich auf der Strecke bleibt. Denn Gesundheit gilt in unserer Zivilisation gemeinhin als überaus wertvolles, schutzwürdiges Gut, das man nicht leichtfertig aufs Spiel setzt. Für den Schutz der Gesundheit gibt es eine Straßenverkehrsordnung, Anschnallpflicht im Auto, Helmpflicht auf Baustellen, Leinenzwang für Hunde, Sicherheitshinweise auf Bahnhöfen usw. usf. Wer die Gesundheit seiner Mitmenschen gefährdet, muss mit empfindlichen Strafen rechnen, wer seine eigene Gesundheit leichtfertig aufs Spiel setzt, hat zumindest Kopfschütteln und Unverständnis zu erwarten, sicherlich aber nicht Beifall.

 

Außer im Bodybuilding. Zwar ist sie gewaltig im Schrumpfen begriffen, aber eine kleine, unerschrockene und im Wortsinne todesmutige Gemeinde hält noch immer hartnäckig fest an der Idee, dass der beste Bodybuilder der Bodybuilder mit den dicksten Muskeln, den tiefsten Einschnitten und den groteskesten Venengebirgen ist, egal wie viel Chemie er dafür „einwirft“, wie viele Jahre er deswegen im Gefängnis verbracht hat und wie viele Jahre seines Lebens er deshalb einbüßt. Die Frage ist nur: Was soll das?

 

Wozu soll man einen Körperbau anstreben, den die meisten Menschen als abstoßend und grotesk empfinden, zumal dann, wenn man dafür Mittel und Methoden einsetzen muss, die von den meisten Menschen als genauso abstoßend und grotesk empfunden werden, und all das für einen Preis, den kaum jemand mit klarem Kopf zu zahlen bereit wäre, nämlich Leben und Gesundheit?

 

Wer ist also der bessere Bodybuilder – derjenige, der dieses Spiel mitmacht, oder der, der sich ihm irgendwann verweigert, der irgendwann sagt: Ihr könnt mich mal, ohne mich, ich steige aus und spiele ohne Chemie weiter?

Es gab eine Zeit des Übergangs und der Nachdenklichkeit im Bodybuilding. Ed Corney, der „Hexer“, in den 1970ern berühmt für sein phänomenales Posing, wurde einstmals in der „Sportrevue“ mit den Worten zitiert: „Ja, ich habe Anabolika genommen. Aber das, was wir im Monat genommen haben, nehmen die jungen Leute heute dreimal am Tag.“ Ein anderer „Meisterposer“ dieser Jahre, der Ägypter und Vize-Mister-Olympia Mohammed Makkawy, sagte damals öffentlich, er ziehe sich von der Wettkampfbühne zurück, da er nicht gewillt sei, seinem Körper lebensbedrohlich hohe Dosierungen anaboler Steroide anzutun. Der aus der DDR in die Bundesrepublik übersiedelte Star des Ostblock-Bodybuildings Peter Hensel erzählte mir vor einigen Jahren, er sei zwar IFBB-Weltmeister und Mister-Olympia-Finalist geworden, aber angesichts der Entwicklungstendenzen im Profi-Bodybuilding sei es für ihn irgendwann „unvorstellbar gewesen, so aussehen zu sollen“, folglich habe er seine Wettkampfkarriere beendet.

Damals war ich selbst Bodybuilding-Funktionär und Wettkamp-Athlet, zunächst bei der NABBA und später bei der WFF. Ich bekam hautnah mit, wie sich im Bodybuilding die Wertvorstellungen überschlugen, wie heftig die Debatten waren über die Fortentwicklung des internationalen Bodybuildings. Nach dem Doping-Tod des erst 31-jährigen Andreas Münzer unmittelbar nach seiner Rückkehr von der „Arnold’s Classic“ herrschte Ausnahmezustand im deutschen Bodybuilding. Paare trennten sich, weil „er“ nicht vom „Stoff“ lassen wollte, der „Spiegel“ brachte den Fall als Titelstory („Tod eines Supermannes“), Sportstudios wurden geschlossen, Spitzenfunktionäre des deutschen Bodybuildings waren an der Grenze des Nervenzusammenbruchs. Kurz zuvor hatte NABBA-Weltpräsident Klaus P.J. Hoffmann die World Fitness Federation (WFF) ins Leben gerufen und die bisher nur für Frauen bestehenden „Figurklassen“ auch für Männer installiert. 1995 gingen sie in den Sartory-Sälen in Köln am Rande einer „Night of the Champions“ erstmals „als Versuchsballon“ auf die Wettkampfbühne, ein Jahr später gab es im thüringischen Gotha bereits die erste Deutsche Meisterschaft nur für das „Fitness- und Figur-Bodybuilding“ mit über 100 Teilnehmern (ich muss es wissen, ich war der Veranstalter!). Kurz darauf hatte auch die IFBB „Fitnessklassen“ – vorbei war die Zeit, in der im Bodybuilding nur das Extrem eine Chance auf Siegerlorbeer versprach!

 

Allerdings: Auch da gab es Doping! Manchem geht es eben nicht schnell genug mit dem Muskelaufbau, selbst wenn er mit etwas mehr Geduld auch ohne „Stoff“ dort hinkommen könnte, wo er ankommen möchte!

Vor Dopingkontrollen war Klaus P.J. Hoffmann allerdings stets zurückgeschreckt – er regelte die Dinge im „Fitness- und Figur-Bodybuilding“ lieber über die Bewertung.

Heute weiß ich, dass er damit wohl auf dem besseren Weg war. Denn Dopingkontrollen im Amateursport ähneln der Quadratur des Kreises – man bekommt es einfach nie richtig hin, es bleibt immer eine Unsicherheit zurück. Im Bodybuilding ist das schon allein deshalb so, weil es eine unüberschaubare Vielzahl von Verbänden mit eigenen Satzungen und Anti-Doping-Richtlinien gibt – falls das Thema überhaupt einen Rolle spielt. Da die verschiedenen Verbände gewöhnlich jede Zusammenarbeit ablehnen, braucht man nach einem positiven Dopingbefund einfach nur den Verband zu wechseln, um einer Wettkampfspere zu entgehen.

Wer ist also der beste Bodybuilder aller Zeiten? Suchen Sie sich einen aus – die Auswahl ist groß, auch bei den Maßstäben, die Sie anlegen können!

 

 

Sonja Fiala

Sonja Fiala

Österreichs älteste, aktive Bodybuilderin